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Kempten und die NS-Zeit, Teil 1

„Spät, aber nicht zu spät“ stelle sich die Stadt ihrer historischen Verantwortung, urteilte der damalige Oberbürgermeister Christian Ude 2012 bei der Grundsteinlegung des NS-Dokumentationszentrums auf dem Gelände des ehemaligen „Braunen Hauses“ am Königsplatz; die vorangegangene Diskussion wurde dort Ende der 1990er Jahre in Gang gesetzt. (1) Es gibt erste Anzeichen dafür, dass 75 Jahre nach Kriegsende dieser Prozess auch in Kempten beginnen kann: Spät, aber hoffentlich nicht zu spät. Auslöser der aktuellen Debatte war der Online-Vortrag von Martina Steber über die Zeit des Nationalsozialismus in Kempten am 4. Juni 2020 im Rahmen der Reihe „Bewegter Donnerstag“ des Kulturamtes. Diese ausgezeichnete Veranstaltungsreihe setzt seit der Eröffnung des Zumsteinhauses als Stadtmuseum gezielt Themen, die den gesellschaftlichen Diskurs in der Stadtgesellschaft erfrischend beleben.

Wenn die Allgäuer Zeitung über die Veranstaltung genauso sachlich berichtet hätte wie Antonia Knapp im Kreisboten (2), wäre es mit der öffentlichen Aufmerksamkeit für das Thema schnell vorbei gewesen und man hätte den Diskurs, wie gehabt, einem kleinen Kreis von Fachleuten überlassen. Ralf Lienert entschied sich für einen anderen Weg: In einem kritischen Bericht über die Veranstaltung, ergänzt durch eine Zusammenfassung der wichtigsten Argumente der bisher vorherrschenden Bewertung der Person des Oberbürgermeisters Otto Merkt und einen widersprüchlichen Kommentar (3), in dem er der stellvertretenden Leiterin vom Institut für Zeitgeschichte in München, die zurzeit vertretungsweise eine Professur in Wuppertal hat, schlampige Recherche vorwirft. Starker Tobak! Egal, wie man die Inhalte dieser journalistischen Darstellung einschätzt, das Verdienst von Ralf Lienert bleibt: Durch seine Reaktion auf Martina Stebers Vortrag hat er eine längst fällige kontroverse Debatte ausgelöst. Die Aufgabe von uns, Kemptener Bürgerinnen und Bürgern, von der Kommunalpolitik und von Fachleuten ist es jetzt, diesen Diskurs am Leben zu erhalten. Vor allem dann, wenn wir der Diagnose von Norbert Frei, Franka Maubach, Christina Morina und Maik Tändler zustimmen: „Spätestens seit der Bundestagswahl vom September 2017 wissen wir, dass der globale Rechtsruck auch Deutschland erfasst hat. Der Einzug der AfD in den Bundestag war eine Zäsur in der Geschichte der Bundesrepublik“(4), schreiben sie in der Einführung ihres Sammelbandes „Zur rechten Zeit“ unter dem (durchaus diskussionswerten) Titel „Weil wir das (fast) alles schon mal hatten“. Auf Kempten bezogen würde ich den Satz mit „Spätestens seit der Kommunalwahl vom März 2020 …“ anfangen. Die kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Stadtgeschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kann heute, wo es „Tag für Tag offensichtlicher wird, dass wir in außergewöhnlichen Zeiten leben“(5), die Demokratie vor Ort stärken. Ich würde sagen, Können reicht nicht, sie muss!

Trotz der erhofften positiven Wirkung sehe ich einiges in der Darstellung von Ralf Lienert als problematisch an:

1. Den Stil/die Sprache/die Art der Argumentation: Wissenschaftliche Diskussionen leben vom Austausch von Argumenten. Es geht im Endeffekt darum, ob und inwieweit es einem gelingt, die Anderen von den eigenen Thesen zu überzeugen. Widerspruch gehört hierbei zur Normalität, sie ist der Garant des wissenschaftlichen Fortschritts. Selbst die renommiertesten Forscher*innen revidieren nach oft leidenschaftlich geführten Kontroversen wie selbstverständlich ihre Standpunkte oder sie formulieren sie neu und genauer. Als Konsens angesehene Wahrheiten sind oft Wahrheiten auf Zeit, die durch neue Impulse, in der Geschichtswissenschaft können diese beispielsweise neue Quellen sein, immer wieder infrage gestellt werden. Keine*r fängt normalerweise von Null an, bereits veröffentlichte Ergebnisse, die auf keinen Widerspruch stießen, werden einbezogen. Für neue Argumente, Hinweise auf Fehler oder andere Quellen sind seriöse Wissenschaftler*innen heutzutage dankbar, schließlich geht es um die gemeinsame Annäherung an die Wahrheit. Vorausgesetzt, die Kritik wird sachlich geäußert und nachvollziehbar belegt. 

Ralf Lienert erwähnt weder die 2010 erschienene und sehr aufwändig und gründlich recherchierte Dissertation von Martina Steber (6) noch ihre späteren Publikationen. Beim Lesen dieser mehr als 600 Seiten umfassenden Monografie über die Rolle des Regionalen im bayerischen Schwaben vom Kaiserreich bis zum Ende der NS-Zeit hat mich der Reichtum des verarbeiteten Quellenmaterials ebenso beeindruckt wie die Fülle von neuen historischen Fragestellungen, die in der öffentlichen Diskussion seit dem Erscheinen des Buches kaum eine Rolle spielten und bereits damals eine Neubewertung einiger Akteure des damaligen politischen und kulturellen Lebens im Allgäu hätten notwendig machen müssen. Es ist Zeit, die Bedeutung dieser bahnbrechenden Studie auch in Kempten zu erkennen und anzuerkennen!

Ich habe mich mit dem umfangreichen Quellenbestand nicht beschäftigt, deswegen kann ich mir über die kritisierten Einzelthemen kein sicheres Urteil erlauben. Trotzdem ein paar Hinweise: In Herbert Müllers Studie über „Kempten im Dritten Reich“ steht über die erste Sitzung des neuen Stadtrats am 29. April 1933: „Der Stadtrat begann seine Tätigkeit mit Beratungen über die Verschönerung des Adolf-Hitler-Platzes (vormals Königsplatz). Er benannte die Bahnhofstraße in Hindenburg-Straße um.“(7) Das dürfte die Quelle von Martina Stebers Aussage gewesen sein. Der gleiche Autor schreibt jedoch in seiner ein Jahr vorher veröffentlichten Dissertation über die Kommunalpolitik der Stadt Kempten zwischen 1929 und 1953 über einen Stadtratsbeschluss im März 1933, in dem der Platz am Jägerdenkmal fast einstimmig in Hitlerplatz umbenannt wurde und erwähnt die beiden anderen Änderungen nicht. Dafür betont er, dass Anton Brändle am 28.11.1942 „in der ersten Sitzung der Ratsherren in seiner Amtszeit die Umbenennung des Königsplatzes in ‚Platz des Führers‘, der Königsstraße in ‚Adolf-Hitler-Straße‘ und der Sedanstraße in ‚Mussolini-Straße‘ veranlasste“.(8) Mithilfe des Stadtarchivs müsste man die Richtigkeit der beiden Behauptungen leicht überprüfen können.

Martina Steber schreibt in ihrem Buch: „Otto Merkts politisches Handeln in seiner Eigenschaft als Oberbürgermeister der Stadt Kempten war während der 1930er und 1940er Jahre nicht antisemitisch motiviert; antisemitische Hetzereien aus seinem Mund sind nicht überliefert.“(9) Gernot Römer zählt einige Anekdoten auf, die von Merkts persönlicher Hilfsbereitschaft gegenüber Mitgliedern der jüdischen Gemeinde zeugen, leider ohne notwendige Quellenkritik.(10) Herbert Müller zitiert Merkts Aufzeichnung aus der Kriegschronik des Rathauses nach der Deportation von zwanzig Jüdinnen und Juden Ende März 1942: „Gestern und heute früh stieg nun diese fürchterliche Judengeschichte. Politisch notwendig, militärisch notwendig, in einer Zeit, die völlig andere Wege geht. Hierzu kommt den Unteren ein Urteil nicht zu.“(11) Die Behauptung von Ralf Lienert: „Als er gegen die Deportation in Konzentrationslager protestierte, wurde er verabschiedet“ ist auf dieser Grundlage eher unglaubwürdig und verlangt nach historischen Belegen. Die Argumentation von Herbert Müller, dass Merkt die Unterstützung mächtiger Freunde verlor und dass der totalitäre Staat den Oberbürgermeister nicht mehr zum Machterhalt brauchte (12), und ihn deshalb im Juli 1942 aus dem Amt entließ, klingt viel überzeugender.
In der Frage der Rassenhygiene sprechen alle in der Fachliteratur zitierten Quellen die gleiche Sprache: Otto Merkt setzte sich spätestens ab 1930 „mit dem Ziele der Rassenhygiene, der Gesundmachung und Gesunderhaltung“ des Volkes für Sterilisierungen ein (zunächst auf freiwilliger Basis) und Pflegebedürftige beschrieb er als Menschen, „die dem Tiere schon fast mehr gleichen wie dem Ebenbilde Gottes“. In einer Rede im Kreistag im November 1932 zum Thema „Öffentliche Fürsorge und Unfruchtbarmachung“ sprach er über „Ballastexistenzen“, die „Kinder zeugen, die wieder Ballastexistenzen sein werden, sein müssen“ und beklagte sich: „… mehr wie 100 Prozent dessen, was uns zusteht, was wir dem Steuerzahler abnehmen, geben wir aus für die wirtschaftlich Toten, für eben diese Ballastexistenzen. 0 Prozent bleiben übrig für die wirtschaftlich Lebendigen, für Förderung von Landwirtschaft und Gewerbe, Handel und Industrie, für Gesundheit und Kultur.“ Sein Lösungsvorschlag lautete: „Die Sterilisierung, die Verringerung der Zahl der Unterstützten, ist das einzige Mittel.“(13) Martina Steber weist in ihrer Dissertation nach, dass Merkt sich den Ideen von Christian Frank, Seelsorger an der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee und Gründer des völkischen Vereins „Heimat“, verpflichtet fühlte.(14) Als Merkt im April 1933 dem Stadtrat seine NSDAP-Mitgliedschaft erklärte, betonte er auch, dass er im Hinblick auf die „Rassenhygiene“, vor allem in der Frage der „Sterilisation des hoffnungslosen Erbgutes“ die Programmpunkte der Partei vertrete.(15) Hier muss angemerkt werden, dass diese Ansichten in der Zeit weltweit verbreitet waren. Michael Wildt weist darauf hin, dass beispielsweise in den USA bis 1934 in 27 Bundesstaaten die Möglichkeit legalisiert wurde, Menschen, unter bestimmten Umständen auch gegen ihren Willen, sterilisieren zu lassen.(16) Ralf Lienerts Kommentar erweckt den Eindruck, als ob Merkts Mitgliedschaft im Hauptausschuss der „Münchner Gesellschaft für Rassenhygiene“ der einzige Beweis für seine Einstellung wäre bzw. als ob der Nachweis darüber, dass er diese abgelehnt habe, das Gegenteil belege. Leider ist es nicht so. Es handelt sich nicht um einen „Vorwurf“, sondern um eine mehrfach nachgewiesene Haltung. Ab Mitte der 1930er Jahre holten in Schwaben graue Busse Heil- und Pflegefälle ab und transportierten sie in den Tod. Herbert Müller stellt fest: „Ob er [Merkt] jetzt auch die Euthanasie befürwortete, lässt sich nicht feststellen. Die Verantwortlichen des Kreises, zu denen Merkt gehörte, duldeten sie jedenfalls.“(17) Protestiert hat nur der evangelische Dekan Hermann Kornacher, als 1941 fünf Mitglieder der Gemeinde St. Mang in Pflegeanstalten getötet wurden.(18) Hier sollte man nicht unerwähnt lassen: Der öffentlich geäußerte Unmut über die Morde an behinderten Menschen im ganzen Reich wurde in der NS-Führung wahrgenommen und führte dazu, dass diese im Sommer 1941 die Entscheidung traf, die „Euthanasie“ zumindest offiziell zu beenden.(19)

Die Debatte um das Buch von Daniel Goldhagen (20) habe ich noch sehr gut in Erinnerung. Er löste einen höchst kontroversen Diskurs aus, der in seiner Wirkung sowohl in der Fachwelt als auch in der Öffentlichkeit als sehr wertvoll erwies. Die mangelnde Wertschätzung, die er gegenüber den Leistungen seiner Kolleg*innen zeigte und seine methodische Schwarz-Weiß-Malerei haben ihn jedoch viel an Glaubwürdigkeit gekostet. Aber zu einer Wortwahl wie „schlampig“ hat sich nicht einmal der Harvard-Professor Goldhagen hinreißen lassen. 

2. „Letztlich gilt eines: Fakten, Fakten, Fakten,“ schreibt Ralf Lienert. Die Aussage erinnert einerseits an den Werbespruch des Focus-Redakteurs Helmut Markwort, hinter dem ein eher von konservativen Werten geprägter Journalismus steckte, was eigentlich gut zur Allgäuer Zeitung passen dürfte; als seit drei Jahrzehnten täglicher Leser des Blattes wage ich es zu behaupten. Andererseits spiegelt die Aussage den Anspruch der positivistischen Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts wider, die Fakten aneinanderreihen wollte und gegenüber ihrer Interpretation eine eher ablehnende Haltung zeigte. Dass Ralf Lienert sich selber nicht an diese Vorgabe hält, wird beispielsweise im folgenden Satz deutlich: „Steber schaute kritisch auf die Kemptener NS-Zeit, stellte Dr. Otto Merkt und seine Haustafeln und Gedenksteine in die braune Ecke, brandmarkte ihn und sein völkisches Denken als Feind der Republik.“ Die Begrifflichkeiten „in die braune Ecke stellen“ und „brandmarken“ oder der bereits erwähnte „Vorwurf“ signalisieren, dass der Autor anderer Meinung ist. Dies wird auch aus den im eigenen Artikel zusammengefassten Hintergrundinformationen klar, die keine einzige kritische Anmerkung beinhalten. Warum äußert er dann seine, durchaus legitime, eigene Meinung nicht direkt? Wozu dieser Deckmantel à la Focus? 

Übrigens, dass Martina Steber Merkts Lebenswerk höchst differenziert darstellt, kann man auch in ihrem Artikel über „Kempten, Otto Merkt und die ‚Heimatpflege in der Stadt‘“(21) nachprüfen. Die Schilderung der Verdienste des Oberbürgermeisters, die das Gesicht Kemptens bis heute prägen (wenn sie auch an manchen Stellen gerade zu bröckeln anfangen) unterscheidet sich kaum von der von Joachim Weigels Stadtgeschichte, die von Ralf Lienert durchgesehen und ergänzt wurde.(22) Sie fügt jedoch ihrem Forschungsgegenstand entsprechend auch andere Gesichtspunkte dazu und setzt die Entwicklungen in Kempten in Relation zu denen im bayerischen Schwaben und in Deutschland. 75 Jahre nach dem Krieg sollten wir uns von der Vorstellung verabschieden, die Akteure der NS-Zeit unbedingt in die Schubladen „Held“ und „Schurke“, „Täter“ und „Opfer“ stecken zu wollen. Um die Lebensleistung von Otto Merkt zeitgemäß beurteilen zu können, braucht es weitere intensive Forschungsarbeit. Was in meinen Augen jedoch bereits jetzt feststeht: Die Bilanz wird vielschichtig und stellenweise ambivalent ausfallen. 

3. Die oben erwähnte positivistische Geschichtsbetrachtung prägt stellenweise die Gestaltung von unserem Geschichtsunterricht bis heute. Ich war mit Sicherheit nicht der Einzige, der durch das Pauken von Namen, Jahreszahlen, historischen Ereignissen schnell gesättigt wurde. Dass ich trotzdem Geschichte studierte, habe ich an erster Stelle einigen der Großen der französischen Geschichtsschreibung zu verdanken, die über den Sinn der Geschichtswissenschaft ganz anders dachten: „Die Erinnerung, aus der die Geschichte schöpft, die sie wiederum nährt, ist lediglich bestrebt, die Vergangenheit zu retten, um der Gegenwart und der Zukunft zu dienen. Es soll so geschehen, dass die kollektive Erinnerung der Befreiung und nicht der Unterwerfung der Menschen dient,“(23) liest man bei Jacques Le Goff. „Der Historiker soll nicht urteilen, sondern erklären und verstehen“, stellte Fernand Braudel in einer seiner in deutscher Kriegsgefangenschaft gehaltenen und aufgezeichneten Vorlesungen fest. Dann zitiert er Aldous Huxley: „Leider gibt es keine historische Wahrheit, sondern nur mehr oder weniger wahrscheinliche Meinungen über die Vergangenheit, Meinungen, die sich von Generation zu Generation unterscheiden.“ Schließlich fügt er selber hinzu: „Für den Historiker ist es absolut dringend, seine persönliche Haltung ausdrücklich zu benennen. Die Berechnungen der Physiker berücksichtigen die Position des Beobachters. Diese Position bestimmt seine Wahrheit. Das Gleiche gilt für den Historiker oder für den Sozialwissenschaftler.“(24)

Hier muss ich meinen wichtigsten Kritikpunkt gegenüber der Berichterstattung von Ralf Lienert anbringen: Vom Titel „Historikerin fordert neuen Blick auf die NS-Zeit“ abgesehen wird in den drei Texten fast nichts über die Intention der Referentin und des Veranstalters gesagt. In ihrer Einführung schilderte sie detailliert, wie sich die Schwerpunkte der Forschung der NS-Zeit änderten und zeigte auf, welche Möglichkeiten die neuen Ansätze für die Forschung vor Ort eröffnen. An drei konkreten Themen zeigte sie exemplarisch auf, wie das konkret aussehen könnte. Dass die Veranstalter und sie dafür die Form eines öffentlichen Vortrags wählten, zeigt auch die Absicht, dass dies mit Einbindung der Stadtgesellschaft passieren soll. Nur so kann man die Vergangenheit retten, um der Gegenwart und der Zukunft zu dienen. Nur so kann die kollektive Erinnerung der Befreiung der Menschen dienen. Nur so kann man die Vergangenheit erklären und verstehen und dazu eine persönliche Haltung entwickeln. Nur so kann man die politischen Entscheidungsträger*innen dazu bringen, zu dieser Haltung auch öffentlich zu stehen. Denn nicht nur Yascha Mounk findet es erschreckend, „dass die Feinde der liberalen Demokratie – von Frau Weidel bis zu Herrn Trump – heutzutage oft entschlossener scheinen, unser politisches Schicksal zu bestimmen, als ihre Verteidiger.“(25) Das ist der Grund dafür, dass der Vortrag von Martina Steber bei mir nicht den „Beigeschmack“ auslöste, den Ralf Lienerts Kommentar befremdlicher Weise allen 151 Zuhörer*innen zuschreibt. Im Gegenteil: er wirkte auf mich befreiend und motivierend.

Auf die drei von Martina Steber vorgeschlagenen Themen, erweitert durch einige eigene und auf die dadurch entstehenden Herausforderungen für Kempten werde ich, losgelöst von der journalistischen Berichterstattung, im zweiten Teil der Kolumne eingehen.


Anmerkungen:
1. Nerdinger, Winfried: Der Umgang mit der „zerlumpten“ Vergangenheit Münchens, S. 556, in: Nerdinger, Winfried (Hrsg.): München und der Nationalsozialismus, München 2015, S. 548-556.
2. Kontroverse Anstöße für Forschungsarbeiten, in: Kreisbote 10.06.2020
3. Historikerin fordert neuen Blick auf NS-Zeit; Merkt schützte jüdische Bürger; Schlampig recherchiert, in: Allgäuer Zeitung 06.06.2020
4. Frei, Norbert/Maubach, Franka/Morina, Christina/Tändler, Maik: Zur rechten Zeit, Berlin 2019, S. 7
5. Das Zitat geht weiter: „… in Zeiten also, in denen die Entscheidungen, die wir in den kommenden Jahren fällen werden, darüber bestimmen, ob sich unheilvolles Chaos Bahn bricht; ob unsägliche Grausamkeit losgetreten wird; und ob die liberale Demokratie, ein System, das mehr zur Verbreitung von Frieden und Wohlstand geleistet hat als jedes andere in der Geschichte der Menschheit, überleben wird.“ (Yascha Mounk: Der Zerfall der Demokratie, München 2018, S. 31) 
6. Steber, Martina: Ethnische Gewissheiten, Göttingen 2010
7. Herbert Müller: Kempten im Dritten Reich, S. 438, in: Dottenweich, Volker/Filser, Karl/Fried, Pankraz/Gottlieb, Gunther/Haberl, Wolfgang/Weber, Gerhard (Hrsg.): Geschichte der Stadt Kempten, Kempten 1989, S. 435-448.
8. Müller, Herbert: Parteien- oder Verwaltungsvorherrschaft? München 1988, S. 41 bzw. 51.
9. Steber 2010, S. 448.
10. Römer, Gernot: Es gibt immer zwei Möglichkeiten, Augsburg 2000, S. 96f.
11. Müller 1989, S. 445.
12. Ebd., S. 446.
13. Römer 2000, S. 93.
14. Steber 2010, S. 229.
15. Müller 1988, S. 41.
16. Wildt, Michael: Die Ambivalenz des Volkes, Berlin 2019, S. 99.
17. Müller 1989, S. 445.
18. Ebd., S. 445.
19. Wildt 2019, S. 322
20. Goldhagen, Daniel Jonah: Hitlers willige Vollstrecker, Berlin 1996
 21. Steber, Martina: Politik für eine „andere Moderne“. Kempten, Otto Merkt und „Heimatpflege in der Stadt“, in: Schmiechen-Ackermann, Detlef/Kaltenborn, Steffi (Hrsg.): Stadtgeschichte in der NS-Zeit, Münster 2005, S. 92-108.
22. Weigel, Joachim/ Lienert, Ralf: Kempten. Eine faszinierende Geschichte, Kempten 2015, S. 158ff.
23. Le Goff, Jacques: Geschichte und Gedächtnis, Berlin 1999, S. 137.
24. Braudel, Fernand: Geschichte als Schlüssel zur Welt, Stuttgart 2013, S. 57f. 
25. Mounk 2018, S. 32
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